Gendersprache

 

Bestimmt die Sprache, was wir Denken? Der Aberglaube des linguistischen Determinismus

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Zur Einleitung

Immer wieder hört man von Aktivisten als Rechtfertigung für ihre ‹Empfehlungen› oder neuen Sprachdiktate, dass «Sprache das Denken bestimmt».

Um das Wichtigste vorwegzunehmen: Wer behauptet, dass Sprache unser Denken bestimmt (oder noch praller: dass die Wirklichkeit auf Sprache beruht), ist entweder dumm oder will uns betrügen (oder beides). Lesen Sie jetzt bitte weiter.

Vergessen wir kurz, dass diese krumme Rechtfertigung für Gendersprache in sich schon widersprüchlich ist. Denn würde die Sprache unser Denken bestimmen (das heißt: würde unser Denken von der Sprache abhängig sein), dann wäre es ja unmöglich, durch unser Denken die Sprache zu hinterfragen (was Gendersprech-Aktivisten aber offenbar tun, auch wenn sie es falsch machen). Weiter unten auf dieser Seite werden wir uns mit noch anderen Problemen dieser Idee beschäftigen.

Hinter diesem Gedanken scheint eine Art von magischem Aberglauben über eine Allmacht der Sprache zu stehen. Wie im Neuen Testament: «Am Anfang war das Wort, […] und Gott war das Wort». Nur ist es hier interpretiert von einem einfältigen Fundamentalisten, der in diesem Spruch keine Symbolik, sondern platte wörtliche Wahrheit erkennen will.

Sprache besteht aus vielen Wörtern. Sind sie alle Götter?

Auffällig ist, dass dieser (Aber-) Glaube in Diskussionen über Gendersprache nie ernsthaft hinterfragt wird (oder bestenfalls tut man, als ob die untauglichen Assoziationsstudien ein Beweis wären). Es handelt sich hier wieder mal um bloß eine Behauptung, an deren Wahrheitsgehalt einige gerne glauben. (Dies ist charakteristisch für alle Formen von Aberglauben und von Ideologie: sie leben davon, dass es Leute gibt, die an solche Ideen glauben wollen, auch wenn überhaupt keine Beweise für deren Wahrheit vorliegen und jene Formen des Aberglaubens oder der Ideologie in sich unlogisch sind.)

Ich habe bisher achtzehn Sprachen gelernt, und ich unterrichte Sprachen. So weiß ich einiges über Sprachen und leide nicht an einem solchen Aberglauben.

Wer will das glauben?

An jenem Gedanken, dass die Sprache unser Denken bestimmt, stimmt einiges nicht. Außerdem sollte es schon bedenklich stimmen, dass so ungefähr das Erste, was jede Diktatur macht, die polizeiliche Kontrolle über die Sprachverwendung in der Öffentlichkeit ist. Wir erleben das in Russland, wo man nicht über einen ‹Krieg› in der Ukraine sprechen darf (denn dann wird man inhaftiert, bis zu 15 Jahren), sondern nur über eine «spezielle militärische Operation». Die Verfolgung kritischer gebildeter Menschen in China vor einigen Jahrzehnten, die zu Millionen von Toten führte, wurde verharmlosend (und sogar verherrlichend) Maos «Kulturrevolution» genannt. Auch Gender-Sprachaktivisten machen gerne solche Sprachspielchen.

Diese Liste von Beispielen lässt sich leicht verlängern. Und wie immer ändern solche Sprachkontrolle und Sprachzensur nichts an den Tatsachen. Man kann eine Weile ein Volk dumm halten, aber letztendlich wird das Üble nicht zum Guten, oder umgekehrt, bloß weil man es anders nennt: Der russische Krieg in der Ukraine bleibt ein Krieg, und das chinesische Volk hat nicht allzu viel über seine Volksrepublik zu sagen1. Auch kann man das selbständige Denken der Menschen nicht durch solche Maßnahmen lenken. Das staatlich verordnete ‹Newspeak› im berühmten Roman 1984 von George Orwell scheiterte als Machtsinstrument. (In der deutschen Übersetzung des Romans heißt diese künstliche, politisch aufgezwungene Sprache ‹Neusprech›.) Bloß weil das zweite ‹D› in «DDR» «demokratische» bedeuten sollte, war die DDR noch keine Demokratie (und deswegen gibt es die DDR nicht mehr).

Die Denkfehler

Wir haben bei diesem Aberglauben mit Denkfehlern zu tun, die basieren auf zwei verfehlten Denkmodellen:

Der linguistische Determinismus

Die irrige Vorstellung, dass unsere Sprache unser Denken bestimmt (linguistischer Determinismus), hat zwar eine lange Vorgeschichte2, aber das macht die Vorstellung an sich nicht weniger irrig.

Der jüngste Versuch in der Sprachwissenschaft, diese Vorstellung zu legitimieren, war die sogenannte Sapir-Whorf-Hypothese (umgangssprachlich: ‹Whorfianism›). Sapir war ein Ethnologe und sein Schüler Whorf war ein Ingenieur, der für eine Versicherungsfirma arbeitete und später auf dem Umweg des Bibelstudiums ein Interesse für Sprachen entwickelte. (Auf diesen selben Whorf geht das populäre aber unwahre Märchen zurück, dass Eskimos in ihrer Sprache zahllose Wörter für ‹Schnee› haben3.) Sapir und Whorf selbst haben diese Hypothese nicht aufgestellt: sie wurde nach ihnen, aus ihren Schriften abgeleitet.

Linguistischer Determinismus wird heute von keinen ernstzunehmenden Sprachwissenschaftlern mehr vertreten, und mit Recht. Wenn man nämlich konsequent über die Folgen der These, dass das Denken von der Sprache abhängt, nachdenkt, dann stößt man schnell auf Absurditäten und schwer zu bewältigende Probleme.

Man muss dann z.B. annehmen, dass ein Kind nicht denken kann, bevor es Sprache gelernt hat. Und dass die Sprache eine magische Kraft unbekannter Herkunft ist, die in uns das Denken hervorruft. Wenn unser Denken ganz vom z.B. Deutschen bestimmt ist, dann darf man fragen, (a) woher das Deutsche stammt, und (b) was passiert, wenn man eine Fremdsprache lernt (oder ob es überhaupt möglich ist, eine Fremdsprache zu lernen. Oder was passiert, wenn man etwas aus einer Sprache in eine andere übersetzt). Auch fragt man sich, (c) wie Sprachwandel überhaupt möglich ist. Manche neo-marxistisch angehauchten Denker (die typischerweise die individuelle Freiheit des Denkens und Handelns verneinen, weil alles von identitätischen gesellschaftlichen Klassen bestimmt werde), behaupten, dass im Laufe der Zeit materielle Umstände sich ändern, und damit ändere sich auch die Sprache. Das ist aber dogmatische Pseudowissenschaft.

So gibt es mehrere peinliche Fragen zum linguistischen Determinismus. Die peinlichste von allen ist vielleicht: Falls unser Denken durch unsere Sprache bestimmt ist, wie ist es dann möglich, kritisch die Sprache zu hinterfragen und daran herumbasteln zu wollen? Die selbsternannte ‹woke› Sprachpolizei selbst ist die Widerlegung dieser Vorstellung. Auch gibt es genügend viele empirische Beispiele dafür, dass Sprachzensur nichts an der Realität ändert (wie im Falle der so genannten Dalitas oder «Unberührbaren» in Indien).

Ein solcher Sprach-Aberglaube wird desto heftiger, je weniger man sich mit der reellen Außenwelt außerhalb der Sprache befasst und je mehr man sich in seinem Kopf gedanklich innerhalb der Sprache einsperrt und verspinnt. Manche Leute in den Geistes- und Sozialwissenschaften, und auch drittrangige Philosophen, tun dies heutzutage gerne: es ist einfach und man kann so das eigene Fach (und damit auch sich selbst) als übermäßig wichtig darstellen. (Dies ist charakteristisch für den sogenannten Postmodernismus.) Der Forscher (oder hätten Sie gerne: «Forscher*in»? ) denkt sich dann auch noch einen Fragebogen aus mit Fragen, die durch eine gewisse Kontextualisierung die Befragten in einer gewissen Richtung führen, hinterfragt die eigenen Ausgangspunkte nicht kritisch (wenn überhaupt), und die unterstützende ‹wissenschaftliche Studie› ist fertig. (So funktionieren die ‹Assoziationsstudien›, worauf die sogenannte «feministische Linguistik» sich beruft.)

Es gibt auch eine Soft-Version des Whorfianismus, die sagt, dass die Sprache unser Denken nicht bestimmt, sondern beeinflusst. Diese Annahme ist aber trivial. Würde das, was wir sagen, das Denken anderer nicht beeinflussen, dann wäre alles Reden nämlich sinnlos.

Wer detailliert mehr über Fragen des linguistischen Determinismus und über das Verhältnis zwischen Sprache und Denken lesen möchte, wird Freude erleben am Buch The Language Instinct: How the Mind Creates Language vom Experimentalpsychologen, Kognitionswissenschaftler und Sprachwissenschaftler Steven Pinker von Harvard University (auch auf Deutsch erhältlich: Der Sprachinstinkt: Wie der Geist die Sprache bildet). Der Titel sagt es schon: mind creates language, nicht umgekehrt.

(Der Postmodernismus wird auf einer separaten Seite besprochen.)

Das eigentliche Ziel von Sprachverboten und -geboten ist, Andersdenkenden die Kommunikation zu erschweren oder sogar unmöglich zu machen (deswegen sind sie in Diktaturen so beliebt). Sie sind grundsätzlich illiberal und antidemokratisch, aber das wird von den Befürwortern natürlich nicht so gesagt. Stattdessen wird von Gendersprache behauptet, sie sei ‹progressiv› oder ‹gerecht› – was sie aber gar nicht ist.

Zusammenfassung

Die wichtigsten Punkte:

  1. Der linguistische Determinismus ist eine wissenschaftlich längst widerlegte Theorie, woran manche Ideologen sich dennoch verkrampft festhalten. Es ist einfach nicht wahr, dass Sprache unser Denken bestimmt
  2. Jede Sprachkritik (egal welche) ist ein Beweis dafür, dass Sprache unser Denken nicht bestimmt. Deshalb ist es besonders perfide, wenn Gendersprech-Aktivisten behaupten, dass «Sprache unser Denken bestimmt»
  3. Zwanghafte Sprachkontrolle ist ein Zeichen autoritärer, antidemokratischer Politik, die Individualität und persönliche Denk- und Redefreiheit ablehnt

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  1. Genau so (um wieder ein anderes, brennend aktuelles und irres Beispiel zu nennen) wird ein Mann nicht zu einer Frau, bloß weil er behauptet, sich wie eine Frau zu fühlen und weil er sich selbst ‹Frau› nennt. (Was bedeutet das überhaupt? Was weiß er über das wirkliche Frausein, außer subjektiven Fantasien?)↩︎

  2. Oft geht der linguistischer Determinismus gepaart mit dem sogenannten linguistischen Realismus (der gar nicht so ‹realistisch› ist). Solche Ideen findet man z.B. in der antiken indischen Philosophie (man kann sie auch Theologie nennen) der Mīmāṃsā-Schule, wo man versucht zu ‹beweisen›, dass die heiligen Texte des Vedas eine transzendente Wahrheit enthalten. Die Grundidee ist, dass Wort und Gegenstand untrennbar miteinander verbunden sind und die heilige Sanskrit-Sprache keinen Anfang kennt, sondern ewig und unvergänglich ist. (Jeder, der mehr als eine Sprache gelernt hat, oder der bekannt ist mit dem Phänomen der Homonyme, muss sich hier am Kopf kratzen.)↩︎

  3. Eigentlich ist das Märchen über die vielen Eskimo-Wörter für Schnee (wäre es echt) eine Widerlegung des linguistischen Determinismus (und das ist echt), denn: wenn die angebliche Wahrnehmung vieler verschiedener Formen von Schnee zu vielen verschiedenen Wörtern in der Sprache führt, dann ist zuerst das Denken da, und die Wörter kommen erst nachher.↩︎